11. Kapitel


Eine kurze geschichtliche Betrachtung über Cracauen- Krakow oder Crakov, wie es auf alten Karten und Kupferstichen bezeichnet wird - sei hier eingeschaltet.

Im Jahre 1417 wird Cracauen zum ersten Mal beim Tod des Grafen Friedrichs III. zu Moers erwähnt, so dass man annehmen kann, dass es zu Anfang des 15. Jahrhunderts erbaut wurde.

Erst im August des Jahres 1586 taucht der Name Cracau wieder auf, als es von den Spaniern unter dem Herzog von Parma belagert und erobert wurde.

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Im Jahre 1601 nahm es der Baron van Cloudt im Auftrage des Prinzen von Oranien in den Besitz. Am 5. November wurde Cracau wieder von den Spaniern unter General Bucquoi belagert, und zwei Tage darauf ergab sich die Besatzung (siehe obiges Bild).

Im Jahre 1608 wurde die Grafschaft Moers, die Herrlichkeit Krefeld und Cracau neutral erklärt, und im Jahre 1609 übernahm der Prinz Moritz von Oranien Cracau auf Grund des Interimsfriedens der Spanier mit den Niederländern. Aber im Jahre 1678 wird die alte Burg Cracau auf Befehl des Prinzen von Oranien abgerissen, und die Trümmer lagen bis 1720 umher.

Als im Jahre 1719 Hubert Rahr die Domäne Cracau pachtete, um dort eine Essigfabrik zu errichten konnten die Trümmer der geschleiften Burg zum größten Teil für den Neubau wieder verwendet werden. Das neu gebaute Schlösschen, das in den Jahren 1720-24 entstand, war noch von Wassergräben umgeben. Erst 110 Jahre später wurde der Saal mit Keller und Obergeschoss angebaut. Auch die Küche mit dem flachen Dach entstand zur selben Zeit. So hatte das Schloss Cracau in der letzten Form eine Lebensdauer von 223 Jahren erreicht, als es 1943 endgültig und für immer zerstört wurde.

Aber zuerst wollen wir kurz auf die Zeit um 1840-50 zurückkommen. Der Krefelder Journalist und Schriftsteller Bodo Rüttgers hatte im Jahre 1941 unter dem Titel" Miniaturen aus einem verwunschenen Paradies "eine Beschreibung veröffentlicht, woraus ich nun einen Ausschnitt folgen lasse:

….. dann gehen wir durch das Haus, in dessen hohen Wänden die alten Festungssteine ihren Ruhesitz haben. Zahllose Riedinger-Stiche hängen an den Wänden des langen Hausflurs. Sie berichten von Paradies und wilder Jagd. Vor einem Jahrhundert gab es das auch in diesen Räumen, deren gar nicht so viele sind, wie angesichts der breiten Front angenommen werden sollte. Damals tobte eine wilde Jagd durch das Paradies: 15 von Beckerath-Kinder bevölkerten zeitweilig die wenigen Zimmer und Mansarden, 15 Kinder und eine Unzahl von Freunden und Freundinnen erlebten auf den 11 Morgen des Gutes, die nun allzu sehr zugebaut sind, alle Romantik, die einer glücklichen Jugend geschenkt werden kann.

Der Saal, der heute einem Museumsraum gleicht, war damals, als die 15 Kinder auf Cracauen lebten, noch nicht so üppig. Die Wände waren weiß gekälkt; es gab noch kein Parkett, sondern Eichenbretter, hölzerne Bänke, ein paar Stühle, einen Bücherschrank und vier auf Marmorsäulen stehende Gipsbüsten von Flatters. Das war die ganze Herrlichkeit. Aber in ihr blühte ein Familienleben von so seltener und glücklicher Prägung, dass einen der Gedanke daran nicht so leicht loslässt, wenn man seines Geistes Hauch verspürt hat.

Die beiden Geschwister-Ehepaare Heinrich und Charlotte und Gerhard und Susanne wohnen zusammen im Cracauer Haus, und sie behalten diese Gemeinschaft auch noch bei, als in den wenigen Räumen 15 Kinder heranwachsen. Nicht genug damit, sie werfen sogar ihre Haushaltsführung in einen Topf und bekommen - man muss das schon einmal sagen - keinen jener Kräche, die sonst nur zu leicht entstehen. Die Zeiten sind nicht immer rosig, aber sie werden gemeinsam gemeistert.

So viel Kinderseligkeit wie in dem Cracauer Gemäuer, in dem üppig gedeihenden Obstgarten, in den fischreichen Wassergräben rings um die untergegangene Stadtburg in Flor und Gloria stand, findet man sonst nur in Märchenbüchern. Fragt man aber danach, was diese 15 Kinder damals getrieben haben, so brauche ich niemanden auf die Chronik selbst zu verweisen, die so viel darüber weiß. Vielmehr sag ich ihm: denke, du selbst seiest jung, wohnst in den sagenhaften Rittermauern, hättest einen Schwimmtümpel vor der Tür, könntest fischen nach Herzenslust, verkröchst dich, wenn es Not tut, in den unterirdischen Gruselgängen, klettertest in die höchsten Bäume, hättest jederzeit ein Dutzend Spielgefährten zur Hand. ….. Naja, siehst du, sie haben das getan, was Du dann auch tun würdest."

So weit Hugo Rüttgers - auch ihn deckt heute der grüne Rasen! Aber er wird sich in diesem Buch doch noch einmal zu Wort melden.

Während der 1. Weltkrieg für Krefeld - und damit auch für Cracauen - ohne Folgen blieb, war der 2. Weltkrieg, der 1939 begann, schicksalhaft für unser geliebtes Cracauen. Vater Raimund aber hat zum Glück den Untergang nicht miterlebt. Als er am 24. Mai 1942 starb, war Cracauen noch unzerstört.

Mutter Paula, die dann allein in Cracauen blieb, musste den Untergang in allen Phasen miterleben. Sie hatte in den Mansarden den bekannten Krefelder Maler Rudi Perpeet (einen Schulfreund meines Bruders Rudi) und seine Frau aufgenommen. Als in jener teuflischen Bombennacht die Alarmsirenen losheulten, zogen sie in den kleinen Luftschutzkeller, der von der Küche aus erreichbar war. Zwar war damals noch ein Notausgang geschaffen worden. Aber dieser wurde gleich durch die erste Bombe verschüttet.

Dann regnete es Brandbomben auf das alte Haus, die sofort zündeten und ganz Cracauen in Flammen aufgehen ließen. Die Perpeets und Mutter Paula konnten mit Mühe und Not durch die bereits brennende Küche, dann durch das Tor auf die Straße flüchten, wo sie in dem großen Nachbargebäude endlich Schutz fanden.

Auch mein Haus in der Wohnstraße war stark in Mitleidenschaft geraten - Dach abgedeckt, alle Fenster kaputt. Aber man musste sich behelfen. Mutter wurde nach Freiburg evakuiert zu Tante Mathilde Schramm, während unser Hans in Vaihingen/Enz bei unseren Freunden, der Familie Rechtsanwalt Ernst Cramer unterkam, wo er ein ganzes Jahr bleiben konnte.

Tage nach dem Bombenangriff versuchten wir an der Stelle von Cracauen, wo das Büro der Firma Raimund von Beckerath gewesen war, zu graben, um eventuell noch einiges von geschäftlichen Unterlagen zu finden. Tatsächlich fand sich in 2 m Tiefe der Geldschrank, der aber noch so heiß war, dass es nicht möglich war, den Schrank herauszuholen. Erst acht Tage später konnten wir ihn heraus wuchten. Nachdem der Geldschrank dann aufgebrochen war, fanden wir die Geschäftsbücher noch so erhalten, dass sie sorgfältig abgeschrieben werden konnten, ehe sie in Staub zerfielen. Zigarrenkisten, die Vater Raimund sich dort eingelagert hatte, schienen unbeschädigt.

Aber als wir sie öffneten, waren die vom Vater geliebten blonden Feinhals-Zigarren in schwarze Brasil verwandelt, die sich leider als ungenießbar erwiesen. Die größte Überraschung aber war die zwar etwas angeschmorte Schmuckkassette Mutter Paulas mit der Brillantbrosche, die völlig unversehrt blieb. Sie gehört augenblicklich meiner Frau Erika und wird einst Klaus Frau Edith gehören.

Am 11. Januar ging nochmals ein schwerer Bombenhagel auf Krefeld nieder, der mit einigen Sprengbomben die Ruinen von Cracauen restlos dem Erdboden gleich machte.

Heute, nach über 20 Jahren, ist das Grundstück in einen Autoparkplatz verwandelt, auf dem lediglich der alte Birnbaum auf dem früheren kleinen Hof als einziger Zeuge verschwundener Pracht stehen blieb. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen das Aussehen. Cracauen besteht nicht mehr und wird auch nie wieder neu erstehen. Aber die Familie der Cracauer ist nicht ausgestorben und so wird die Cracauen erhalten bleiben!