13. Kapitel

Mutter Paulas letzte Lebensjahre waren nicht vom Glück begünstigt. Ein Jahr, nachdem Vater Raimund starb, wurde Cracauen zerstört, und Mutter Paula fuhr zunächst einmal nach Freiburg zu Schramms. Aber nach einem weiteren Jahr hatte sie so große Sehnsucht nach Krefeld, dass wir sie zurückholten. Sie bekam bei ihrer Schwester Martha von Auw auf der Schlageterallee (jetzt Friedrich-Ebert-Straße) ein Zimmer und konnte von dort wenigstens jeden Tag zu uns in die Roonstraße kommen. Am 11. Januar fand ein neuer Großangriff der feindlichen Bomber auf Krefeld statt, der auch unser Haus unbewohnbar machte. Von Auws mussten mit Mutter Paula in ihren Keller ziehen.

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Wir bekamen in der Jentgesallee 6 eine Wohnung zugewiesen, blieben also kaum weiter entfernt von Mutter Paula. Als dann im März 1945 die Amerikaner in Krefeld einrückten, war in den ersten Wochen ein Besuch kaum möglich. Die Ausgehzeiten waren so eingeschränkt, dass neben den kurzen Stunden, die zum Einkaufen von Lebensmitteln benötigt wurden, keine Zeit mehr übrig blieb.

Mein Bruder Rudi kam im Juni aus der Gefangenschaft zurück und wohnte bei uns, da seine bisherige Wohnung anderweitig belegt worden war, weil seine Familie ja in Heidelberg evakuiert war.

Schließlich gelang es mir, die Genehmigung zum Wiederaufbau meines Hauses Roonstraße 56 zu erhalten, und die Baufirma Fritz Schiffers & Sohn, deren Inhaber, Kurt Schiffers, einst ein Schulkamerad von mir war, übernahm die Arbeiten.

Mutter Paula war sehr interessiert an den Fortschritten des Wiederaufbaus und sie hoffte, dass es so schnell geschah das sie unseren Wiedereinzug noch erleben könnte. Gesundheitlich ging es ihr gar nicht gut. Das Leben im Keller hatte ihre Widerstandsfähigkeit stark beeinträchtigt, so dass es schließlich dank der Bemühungen unseres Arztes Dr. Perger gelang, sie im Krankenhaus" Maria-Hilf" unterzubringen, in dem er selbst Chefarzt war. Hier hatte sie endlich wieder eine richtige Pflege, ein gutes Bett und gutes Essen. Wir besuchten sie jeden Tag abwechselnd, und sie hatte dann auch die Freude, dass wir kurz vor Weihnachten 1945 wieder in unser Haus Roonstraße 56 einziehen konnten. Aber sie selbst sollte es nicht mehr sehen! Als das neue Jahr begann, wurde sie immer schwächer. Aber sie hatte ein kräftiges Herz, das ihr schon mehrfach über schwere Krankheiten hinweg geholfen hatte. Aber die letzten Jahre mit Bombennächten und Ernährungsschwierigkeiten hatten ihren Allgemeinzustand sehr geschwächt. Am 29. Januar 1946 schloss sie für immer ihre Augen.

Wir aber, die wir Mutter Paula kannten und liebten, ihre Söhne und Schwiegertöchter und ihre Enkel werden sie nie vergessen! Und ich hoffe, dass auch ihre Urenkel und deren Nachkommen, wenn sie diese Aufzeichnungen gelesen haben, in Ehrfurcht zu ihrer Urgroßmutter aufblicken werden. Sie war nicht nur liebende Gattin, vorbildliche Hausfrau und fürsorglicher Mutter, sie war auch eine treue Freundin, hochmusikalische Sängerin im Krefelder Singverein, in dem sie Jahrzehnte im Vorstand war, sie liebte und pflegte ihren Garten, nähte ihren Söhnen bis in deren Jünglingsalter Blusen und Hosen, sie malte in künstlerischem Talent, übte sich in der damals in Mode kommenden Brandmalerei und war außerdem eine gewiefte Skatspielerin, wo sie Mitglied von mehreren Skatkränzchen war.

Ende