Meine erste Erinnerung an „Cracauen“ geht bis auf die Jahrhundertwende 1900 zurück. Damals war noch die Färberei Gebr. von Beckerath in Betrieb, die mein Vater Raimund leitete, Auf Cracauen wohnte zu der Zeit meine Großmutter Luise geb. Schramm. Meine Eltern wohnten auf der Uerdinger Straße 49, über die die Dampfbahn nach Uerdingen schnaufte, aber über die noch kein Automobil fuhr. Im Hause des Zigarrengeschäftes Feegers erblickte ich am 1. Dezember 1898 das Licht der Welt.

Der  Cracauer Garten – man könnte besser sagen: der „Park“ – reichte von der Cracauerstraße bis zur Uerdinger Straße. Dort war auch ein Törchen gerade gegenüber unserer Wohnung und einige Schritte in den Park hinein, unter Buchen und Kastanien hatte ich meinen Sandberg zum spielen.

Auf der Abbildung erkennt man die ganze Parkanlage, so wie ich sie noch in Erinnerung habe. Zu dieser Zeit war Cracauen noch nicht „zugebaut“.

Vom Bleichpfad her führte ein Weg, der genau senkrecht auf das Tor mit dem Posaunenengel auf dem Türmchen in der Mitte des langgestreckten Gebäudes zu. Links vom Tor waren um die Jahrhundertwende die Büros der Färberei: Hauptbüro, Buchhaltung und Privatbüro, während rechts vom Tor die Wohnung lag. Großvater Johannes war schon vor meiner Geburt gestorben, aber Großmutter Luise starb erst 1903 und ich erinnere mich noch gut an sie.

 

Bleiben wir aber zunächst beim Park.


Von meinem Sandberg führten zwei Wege zum Schloss. Wir gehen jetzt erst den rechten Weg, der an einem Haselnusswäldchen vorbei führt, in dem auch wilder Hopfen wuchs, den meine Mutter gern als Gemüse zubereitete. Dann kam man in den Gemüsegarten, in dem Großmutters Gärtner Jirret (Gerhard) schaltete. Zum „Hohen Haus“ hin war eine dichte Hecke aus wilden Rosen, durch die man nur an wenigen Stellen blicken konnte. Dabei sah man in das Burggärtchen, wo Tante Ninn, die Frau Heinrich von Beckeraths (der Bismarck glich) die Rosen schnitt, wobei sie alte Handschuhe trug. Auf unserer Seite war entlang der Hecke ein langes, schmales Spargelbeet, an das sich ein Erdbeerfeld anschloss. Am Weg standen in Abständen Birnen- und Apfelbäume, darunter ein Birnbaum, dessen Früchte „Schweizerhosen“ hießen. Sie waren besonders süß und saftig, grün mit gelben und roten Streifen.

Der Weg endete am Treibhaus, vor dem noch einige Treibbeete eingerichtet waren. Am Glashaus entlang führte dann der Weg in S-Windungen vorbei zum Gartentörchen zwischen der Terrasse und einer Mauer, die den kleinen Hof vom Garten trennte. Hierauf stand ein uralter Birnbaum, der übrigens den Untergang Cracauens überstanden hat und der heute noch inmitten des jetzt auf dem Grundstück angelegten Autoparkplatzes steht! Außerdem standen auf dem Hof einige Stechpalmen, auf die ich später noch zurückkommen werde.

Nach einem kurzen Blick durch das Törchen auf den kleinen Hof, auf den wir später noch zurückkommen, kehren wir wieder in den Garten zurück, um den Rundgang in den Park fortzusetzen.

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Zunächst noch einmal das Gartentörchen. Kam man vom Hof, so war gleich rechts die Terrasse, die von Trauben beschattet war. Selten wurden die blau-roten amerikanischen Trauben freilich hier reif und ich erinnere mich, dass meine Mutter sie gerne zur Herstellung von Traubengelée verwendete. Die Blätter wurden hingegen zum Umwickeln von Feldhühnern gebraucht und schmeckten dann kross gebraten ganz vorzüglich. Die Trauben roh gegessen hatten einen herben Geschmack, und nur in besonders heißen Sommern wie 1911 und 1921 bekamen sie eine Süße, die aber immer noch herb war. Nach links unter den Stauden des Riesenknöterichs, von uns aber „spanisches Rohr“ genannt, war in späteren Jahren eine Sandkiste, die meine Eltern für ihre Enkel, wenn sie zu Besuch nach Cracauen kamen, hingestellt hatten.

Von hier aus ging der Blick am Treibhaus vorbei, das mit der seltenen Trompetenblume bewachsen war, deren nähere Beschreibung im Kapitel Fauna und Flora vorbehalten bleibt. Ein rundes Rosenbeet mit Stammrosen füllte den einen S-Bogen des Weges aus, während die linke Seite vom Wege Hortensien, Maiglöckchen, Veilchen und im Herbst Astern und Dahlien schmückte. Die Rasenfläche, die gerne zum Krockettspiel benutzt wurde, beschattete ein Herzkirschenbaum, ein Baum der riesengroße, rote Bratbirnen trug, ein weiterer Birnbaum mit unscheinbaren Kochbirnen und ein „Iriskes“-Birnbaum, der kleine, zuckersüße grau-grüne, saftige Früchte brachte. Doch wenden wir uns zunächst vom Törchen aus nach rechts, die Terrasse entlang, die in der Mitte über eine Freitreppe erreicht werden konnte, die von zwei Cracauer Zwergen bewacht wurde.

Jenseits des Weges, der an der Terrasse vorbeiführte, war wieder ein langestrecktes Rasenbeet mit Busch- und Stammrosen, die alle einen herrlichen Duft hatten. Dahinter war eine große Wiese, die, von der Terrasse aus gesehen, nach rechts abfiel. Im Winter rodelten wir immer dort hinunter. Am unteren Ende stand ein großer, alter Roßkastanienbaum, der rosa blühte. Darunter war ein Gartentisch, wo bei schönem Sonnenwetter Großmutter Luise gerne ihren Tee trank.

Der Springbrunnen war natürlich ein Anziehungspunkt für alle Kinder. Einige große, alte Goldfische schwammen ruhig darin herum. Hinter dem Becken befand sich eine Grotte aus Tuffsteinen, die aber ringsum von Efeu bewachsen war. Und hinter der Grotte schloss sich ein Rhododendronbusch an. Busch und Grotte bildeten ein herrliches Versteck oder eine Räuberhöhle für das beliebte „Räuber und Schanditz“-Spiel, doch gab es im Cracauer Park noch mehrere hierzu geeignete Stellen. Hierüber dann später.


Jenseits des Springbrunnens befand sich eine Laube, die mit Flieder umwachsen war, verwildeter lila Flieder, in dem Nachtigallen nisteten, die bekannt die Nähe des Wassers lieben. Ein kleiner Verbindungsweg führte durch das Fliederwäldchen zu dem Weg, der auf das Treibhaus zu führte. Oberhalb des Wäldchens stieg der Weg etwas an zu dem höchsten Punkt des Parks, der mit einigen Kiefern bewachsen war. Von diesem Höhepunkt lief ein Weg quer durch eine große Wiese bergab, der von einer Schlinggewächshecke an einer Seite eingefasst war.

Ganz aus der Erinnerung ist das obige Bild entstanden. So sah der Park im Jahre 1902 aus, ehe die von-Beckerath-Straße, der von-Beckerath-Platz, die Bogenstraße und die Wiedstraße ihn in vier Teile teilte. Links das Rhododendrongebüsch hinter dem Springbrunnen. In der Mitte die Blutbuche und Steineiche, die Großvater Johannes 1871 nach dem deutsch-französischen Krieg gepflanzt hatte. Im Hintergrund das Tor zur Uerdinger Straße mit dem Hause Feegers Nr. 49, wo ich 1898 geboren wurde.


Die Wiese war so groß, dass Großmutter Luise regelmäßig einen Schäfer bestellte, dessen Schafherde die Wiese niedrig hielt und gleichzeitig auch düngte. Nicht mehr auf dem Bild, da wo der Weg mit dem Spalier rechts in den Weg, der von der großen Kastanie kam, mündete, standeine Gruppe herrlicher Ulmen, des Baumes, der etwa 10 Jahre später in ganz Deutschland dem großen „Ulmensterben“ zum Opfer fiel. Unsere Ulmen aber fielen schon 1904 dem Straßenbau zum Opfer, als der Park selbst ebenfalls der sich ständigen Ausdehnung der Stadt Krefeld – damals noch Crefeld geschrieben – zum Opfer fiel.


Der westliche Teil des Parks wurde nordwärts von der Färberei Deißler begrenzt. Man kam dorthin von Cracauen aus, wenn man um die Veranda herumging, einen kleinen Knick nach rechts und dann wieder nach links in Richtung Westen machte. Hier standen einige Obstbäume: rechts ein Apfelbaum und zwei Birnbäume, links ein Kirschbaum mit weißen Kirschen. Dann kam ein weites Feld mit Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern und einigen Kirschapfelbäumen. Nun wendete sich der Weg wieder nach Süden der Uerdinger Straße zu und kommt dabei durch einen dichten Nadelholzwald mit Kiefern und Fichten. Wo dieser Wald dann an die Uerdinger Straße grenzte, ließ Vater Raimund im Jahre 1906, als der Kaiser die „Tanzhusaren“ nach Krefeld brachte, eine große Tribüne in den Krefelder Farben schwarz/gelb errichten. Von wo ich als Siebenjähriger den Einmarsch der Husaren, angeführt von Kaiser Wilhelm II. auf einem Schimmel reitend, mit ansehen durfte. Wer mehr über dieses Ereignis wissen will, dem empfehle ich das Buch des Krefelder Schriftstellers Otto Brues „Der Silberkelch“, wo allerdings mancherlei Dichtung und Wahrheit gemischt ist.


Hiermit wollen wir zunächst den Garten verlassen und uns der Betrachtung des Wohnhauses widmen.