4. Kapitel


Das nächste Kapitel soll etwas über die Bewohner Cracauens bringen, womit aber dem späteren Kapitel über die Geschichte Cracauens nichts vorweg genommen werden soll. Zunächst handelt es sich um die Familie von Beckerath, soweit wie noch Bilder der Vorfahren vorhanden sind oder waren. Auf dem Saal hingen sie und blickten teils ernst, teils heiter auf uns Nachfahren herab. Diese Bilder aber wurden alle beim Bombenangriff ein Raub der Flammen. Wenn ich versuche, diese Bilder aus dem Gedächtnis wieder neu zu zeichnen, so kann ich aber keine Gewähr für die absolute Ähnlichkeit übernehmen. Damals gab es ja auch noch keine Fotografie und die alten, leider verbrannten Ölbilder waren auch keine absolute Gewähr für Ähnlichkeit.

Erinnerungen_an_Cracauen_44.jpg
Erinnerungen_an_Cracauen_45.jpg

Das erste Bildpaar stellt die Eltern des ersten Besitzers von Cracauen, Johann Jacob von Beckerath und seine Frau Sibilla geb. Linnerts dar. Die Original-Ölbilder hingen in Cracauen und sind leider verbrannt. Dann folgt der Sohn Heinrich mit seiner Frau Margarete geb. Rahr, deren Eltern am 20. November 1765 Cracauen vom preussischen Staat in Erbpacht übernahmen. Der Pachtvertrag trägt die eigenhändige Unterschrift Friedrichs des Großen.

Am 30. Januar 1775 wurde Cracauen von der Familie Rahr käuflich erworben. Die Verhandlungen führte Heinrich von Beckerath, Johann Jacobs Sohn für seine Schwiegermutter Wwe. Johannes Rahr geb. Elisabeth Sohmann. Auchg dieser Kaufvertrag wurde von Friedrich dem Großen am 16. März 1779 durch eigenhändige Unterschrift bestätigt. Nach dem Tode Elisabeths ging der Besitz von Cracau durch Erbe an Heinrich von Beckerath über.

Seine Söhne Heinrich und Gerhard von Beckerath gründeten die Seidenfärberei Gebr. von Beckerath. Beide Brüder heirateten die Schwestern Catharina Charlotte von Beckerath und Susanne von Beckerath, Töchter der Eheleute Leonhard von Beckerath und Friederike Charlotte geb. Kaibel. Leonhard und Heinrich von Beckerath waren Abkömmlinge zweier verschiedener Stämme von Beckerath. Über das Leben der beiden Paare, die zusammen 15 Kinder hatten, verweise ich auf die Betrachtungen des Schriftstellers Hugo Rütters an anderer Stelle des Buches.


Die Originalgeschichte der fünfzehn Kinder auf Cracauen, wie sie Heinrich Leonhard von Beckerath einst niederschrieb, ist im von Beckerath’schen Familienstammbaum zu lesen.
Es erübrigt sich daher, sie hier noch einmal zu wiederholen. Aber die Namen der Fünfzehn seien auch hier verzeichnet:

Acht Kinder von Heinrich und Charlotte:

Friederike Margaretha* 07.07.1814+ 27.05.1840
Margret* 05.12.1815+ 20.02.1894
Ernst* 19.06.1817+ 25.12.1864
Marie* 14.04.1820+ 20.11.1893
Heinrich Moritz (Cola)* 03.04.1823+ 17.07.1872
Johann Hermann* 01.09.1824+ 20.04.1859
Gerhard Benjamin* 22.05.1827+ 10.06.1871
Charlotte Susanne* 26.04.1829+ 23.03.1832

Sieben Kinder von Gerhard und Susanne:
Heinrich Leonhard* 20.10.1816+ 29.01.1902
Johannes Jacob* 28.08.1818+ 16.02.1895
Conrad Wilhelm* 01.11.1820+ 18.04.1905
Louise Henriette (Jettchen)* 30.04.1822+ 30.01.1908
Friedrich Maximilian (Max)* 10.07.1826+ 31.12.1870
Johanna Augusta* 12.11.1827+ 12.02.1832
Franz Adolph* 17.08.1834+ 28.12.1915


Zuletzt blieb Johannes Jacob, der 2. Sohn Gerhards auf Cracauen wohnen. Er heiratete am 31. Juli 1848 Louise Schramm, die Tochter von Johann Wilhelm Schramm, * 29.1.1783 + 18.5.1840 und seiner Frau Wilhelmine Johanna Wesendonck. Sie war das zwölfte Kind. Die Familie Schramm von Horrem oder Hornum lässt sich bis gegen 1400 zurückverfolgen, wo der Vorfahr Pauwels Schramm Lehn- und Burgmann in Grevenbroich war. Johannes Jacob und Louise heirateten am 31. Juli 1848. Ihre Kinder wuchsen natürlich auch in Cracauen auf. Auf der folgenden Seite unter den Bildern ihrer Eltern eine Aufstellung ihrer sieben Kinder:

Erinnerungen_an_Cracauen_47.jpg


Clara Maria von Beckerath (Marie)* 03.06.1849+ 22.08.1929
verh. 30.4.1870 mit Max von Weiler* 10.12.1847+ 25.7.1922

Daniel Maximilian von Beckerath* 08.12.1850+ 30.12.1850

Johannes Wilhelm von Beckerath* 19.03.1852+ 07.04.1899
verh. 09.06.1877 mit Emily Helmers* 07.09.1854+ 31.03.1927

Hugo Alexander von Beckerath* 27.10.1855+ 29.10.1878

Mathilde Eugenie von Beckerath* 04.04.1857+ ?
verh. mit Ludwig Polborn* 08.05.1850+ 11.09.1907

Ida Susanne von Beckerath* 23.07.1858+ 04.01.1864

Franz Bruno Raimund von Beckerath* 07.05.1866+ 24.5.1942
verh. mit Paula Zohlen* 16.06.1871+ 29.01.1946


Meinen Großvater Johannes habe ich nicht mehr gekannt. Er starb 3 Jahre vor meiner Geburt. Aber an Großmutter Louise erinnere ich mich noch gut. Fast jeden Tag besuchte ich sie und durfte bei ihr echten Tee trinken. Auch schickte sie mich auf ihr Schlafzimmer, das dort war, wo meine Eltern, als sie 1904 nach Cracauen zogen, das Badezimmer einrichteten. Dort durfte ich mir aus der Schublade des Nachtschränkchens ein Stückchen Schokolade holen. Wenn sie mich auf ihren Schoß nahm, streichelte ich ihren glatten Scheitel und sagte, was sie für wunderschönes Haar habe, was sie sichtlich erfreute.

Vom Großvater Johannes haben sich einige „Stückchen“ erhalten, die man sich lange mit Schmunzeln erzählte. Ich möchte sie meinen Lesern nicht vorenthalten, auch wenn sie nicht gerade hundertprozentig fein waren. Aber einem Färber darf man diesen Ton nicht übel nehmen: Empfindlichen Lesern empfehle ich, die folgenden Seiten zu überschlagen. Aber die „Vertällchen“ oder Anekdoten gehören zu seiner Charakteristik.

Als mein Großvater Johannes die von seinem Vater Gerhard und dessen Bruder Heinrich gegründete Färberei leitete, wurde zum Avivieren (krachend machen) der Seide Citronensäure verwendet.

Eines Morgens, als Großvater in seinem Büro saß und die Post durchlas, kam der Meister herein, und es entspann sich folgendes Gespräch:

„Morjen, Herr van Bäckeroth“

„Morjen Ponzelaer, wat es et dann?“

„Och, Herr van Bäckeroth, wir mötten och wier een neu Faß Citronensäure häbben“

„Wie is dann dat? Ech häbb doch irsch fürije Week een Faß bestellt. Is dat schon wier op?“

„Och, Häär, dat es suo: Bei die Hitz häbben die Junges all Dursch, un do nemmt sich jeder en Pünkske Citronensäure in den Becher, deit jet Water drop un hätt dann en Limonad!“

„So, so. Äwer dat Zeug is dofür to düer“ Kommt ens mit, ich will dene dat schon vermiese!“

Chef und Meister gingen in das Materiallager, ließen die ganze Belegschaft um sich versammeln, und dann stellte sich mein Großvater auf einen Hocker, knöpfte die Hose auf und – ein Strahl klatschte in das Faß. Kein Wort wurde geredet.
Einige Tage später - es war wieder sehr heiß – kommt der Chef unerwartet durch das Lager und sieht dabei, wie sich ein Färber wieder etwas Citronensäure aus dem Faß herausholt.
„Du Ferkel, häste denn nicht jesehen, wat ech domit jemacht hebb?“
„Wahl, Herr van Bäckeroth, mar – et schmeck immer noch mehr nach Citron!“


Nach alter Sitte hatte mein Großvater die Gewohnheit, morgens um 10 Uhr mit einer Flasche Korn durch die Färberei zu gehen und jedem Färber einen einzuschütten. Eines Tages musste der Hof neu gepflastert werden und mein Großvater, der die Flasche unter dem Arm hatte, als er den Hof überquerte, sprach den Pflasterer an:
„Wollt Ihr auch en Körnche hebbe?“
„Ejoo, Härr van Bäckeroth!

Johannes schenkte ihm ein Gläschen ein, und der Pflasterer kippt mit einer solchen Geschwindigkeit herunter, daß der alte Herr seinen Spaß daran hatte und leutselig fragte:

„Noch eenen ?“

„Ejoo, dann bin ich so frei!“

Auch der zweite verschwand mit gleicher Schnelligkeit. Da meinte mein Großvater:

„Ech verstonn neit, wie Ihr dat schon so früh verdrage könnt. Wenn ech einen drink, dann kreij ech all ‚ne ruede Kopp“

„Dat glöw ick wal, Härr, wenn Ihr in et Kantoor sött, dann steijt der Jeist boove in dä Kopp. Bei mich ävver bei’t pflastere, bück ech mech de janze Dag, und do jeit de Jeist all eiter eruut!“

Da damals Cracauen noch nicht an die erst spärlich entwickelte Kanalisation angeschlossen war, kam alle vier Wochen der Bauer Kühnen vom „Kühnen-Zirkus“, dessen Hof am Weg zum Hülser Bruch lag, mit seiner Dampflokomobile, im Volksmund „Drietkanon“ genannt, nach Cracauen, um die Grube zu entleeren und den Inhalt dann zur Düngung seiner Äcker zu verwenden.


Mein Großvater kommt wieder einmal über den Hof, wo der Bauer seiner sanitären Beschäftigung nachgeht. Hierbei entspinnt sich folgendes Gespräch:

„Dag, Herr Kühnen! Wie jeht et?“
„Wie soll et jehn? Jut, Herr von Beckerath“
„Wie is et Jeschäft? Sit er tofriene?“
„Wal – mar den Driet he küss jet bruuner sin!“
„Ja-mein. Dat han ech noch neit jehoert. Muß mer jetzt sojar den Driet, jenau wie die Sie (Seide) nach Färbmuster lievere?“
***

Während die vorstehenden „Vertällchen“ verbürgt sind, sei
nachstehend noch ein Geschichtchen berichtet, das Großvater Johannes gelegentlich selbst erzählt haben soll, das aber meiner Meinung doch wohl „Jägerlatein“ ist.

Die Großeltern hatten im hinteren Hof neben der Färberei einen großen Hühnerstall, und die Hühner liefen auch tagsüber frei auf dem Hof herum. Einer der Färber hatte eines Tages einen jungen Raben, der aus dem Nest gefallen war, mitgebracht, die Flügel gestutzt und ihm die Zunge gelöst und ihm so das Sprechen beigebracht. Bekanntlich sind die Raben sehr gelehrige Tiere, so dass der Sprachschatz des jungen Raben recht umfangreich war.

Großvater erzählte dann selbst: „Der zahme Rabe hatte sich mit den Hühnern angefreundet, und denkt Euch mein Erstaunen, als ich eines Tages über den Hof gehe. Sehe ich da den Raben auf einem Huhn sitzen, während er mich listig anblinzelte. Dann krächzte er: „Dag, Häar, watt seiste nou?“