7. Kapitel

Auf dem im 1. Kapitel beschriebenen Rundgang durch den Cracauer Garten wurden bereits einige besondere Pflanzen erwähnt. Hier will ich nun eine Übersicht bringen über alle nicht alltäglichen Pflanzen, die dort teils wild, teils gepflegt, wuchsen.

Am Eingang zum Garten vom kleinen Hofe her, wuchs rechts und links vom Törchen das von uns "spanisches Rohr" genannte, jährlich neu wachsende Kraut. Botanisch ausgedrückt ist es "Riesenknöterich“ (Polygonum cuspidatum). Eine Staude, die eine Höhe von 2-3 m erreichte, bestehend aus dicken, hohlen Stengeln und starken Anläufern. Blütezeit: August - September. Blüte ährenförmig, blattwinkelständig, hängend, grünlich weiß.

Jedes Jahr im März und April sprießt der Riesenknöterich neu aus der Erde. Am ersten Tag wie ein roter Spargelkopf. Am zweiten Tag sind die Köpfe schon 10 cm aus der Erde hoch geschossen und wachsen täglich in den nächsten Wochen 10-15 cm höher. Die hohlen Stängel werden grün mit vielen braunroten Flecken und bilden etwa alle 20 cm Knoten, die die Röhren an dieser Stelle mit einer dünnen, aber zähen Haut abschließen. An den Knotenstellen sprießen Seitenäste heraus, an denen herzförmige Blätter an kurzen Stielen in Größe von etwa 6 x 9 cm wachsen.


Dieser Riesenknöterich breitet sich unter der Erde aus. Werden die Seitentriebe abgetrennt, so entwickeln sich die Stammrohre zu staatlichen Größen. Die gegen Ende August erscheinenden Blüten sind stets von zahlreichen Bienen umschwärmt. Die Früchte sind kleine, grüne, dreieckige Kerne, die von einem flachen Häutchen umgeben sind und vom Wind weit zerstreut werden.
Im Spätherbst sterben die Büsche ab und die vertrockneten Rohre färben sich hellbraun. Sie werden dann abgerissen und verbrannt, wobei sich das Feuer von weitem wie Maschinengewehrschießen anhört, wenn durch die Hitze die luftdicht verschlossenen Rohrabschnitte platzen. In späteren Jahren hatte sich der Riesenknöterich an vielen Stellen des Gartens ausgebreitet.

Die meisten Gebäudeteile waren ringsum von Kletterpflanzen umrandet. Zumeist von Efeu. Aber an einigen Stellen, wie an der Veranda und an dem Pergola-Abschluss des kleinen Hofes kletterte der Tabakpfeifenstrauch, (Aristolochia sipha) oder auch großblättriger Osterluzei genannt.

Die Blätter sind herz-nierenförmig und haben einen Durchmesser von 10-25 cm. In der Zeichnung nebenstehend sind aus Platzgründen die Blätter verkleinert, während die Blüten etwa in normaler Größe dargestellt sind. Der Strauch wird etwa 4-10 m hoch, linkswindend. Der Blatt- und der Blütenstiel haben noch ein kleines, eiförmiges Nebenblatt. Die Blüte ist Pfeifenkopfartig aufwärts gekrümmt, gelb-grün bis rot-braun und riecht unangenehm. Trotzdem haben wir sie als Jungens oft in den Mund gesteckt, obwohl sie giftig sein sollte. Aber es zeigten sich keinerlei Vergiftungserscheinungen.

Ich habe diese merkwürdige Blätterpflanze nur noch an einer Stelle wieder gesehen, und zwar an einer Gartenlaube Ecke Kaiserstraße und Jägerhofstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße) aber auch dort ist sie inzwischen ausgestorben und der Garten musste einem Neubau weichen.

Die Trompetenblume (Campsis radicans) wuchs am Treibhaus, auch etwa 8-10 m hoch. Die in Büscheln angeordneten Blüten sind scharlachrot, innen gelb, glocken-oder trompetenförmig.
Die Pflanze stammt aus Nordamerika und ist in Deutschland äußerst selten. Vermutlich wurde sie einmal von Wesendoncks aus USA mitgebracht und gedieh im Cracauer Garten sehr gut. Die leuchtend roten Blüten-knospen, an deren Ende dann fünf knallgelbe Blütenblätter entstanden, wurden viel bewundert.

Vor Max Passens Gravieranstalt blüten Klematis. Ob es „Jackmann-Klematis“ oder Clematis viticella patens waren, weiß ich nicht mehr genau. Sie wurden auch azur- blaue Waldreben genannt. Diese schönen Blüten hatten eine äußerst regel-widrige Eigenschaft: Sie können zwischen vier und 10 Blütenblätter haben.

Gerne erinnere ich mich schmunzelnd an eine Episode aus der Schulzeit. In Quarta hatten wir bei Professor Funke Naturgeschichte. Seine typischen Fragen lauteten zum Beispiel: "Wieviele Staubgefäße oder Blütenblätter hat die Kirschblüte?"

Er erklärte dann die Pflanzenordnung nach Linné, dass die Zahl der Blütenblätter ob gerade oder ungerade 3, 4, 5 oder 6 usw. typisch für gewisse Pflanzenordnungen seien. Ich meldete mich und behauptete, dass das doch wohl nicht stimmen könne, denn ich kenne eine Pflanze, bei der die Zahl der Blütenblätter stets schwanke, und zwar sogar bei ein und demselben Pflanzenstock. Professor Funke bestritt dies lebhaft und schrieb mir fürs Erste schon mal eine 5 in sein Taschenbüchlein.

Zur nächsten Naturgeschichtsstunde brachte ich von Cracauen einen Strauß Klematis mit, und damit den Beweis für meine Behauptung. Professor Funke war darauf großzügig genug die 5 in seinem Buch wieder durch zu streichen und stattdessen eine 1 zu setzen "wegen guter Beobachtungsgabe. Keine Regel ohne Ausnahme! Quod erat demonstrandum“

Wie schon erwähnt, war Efeu am meisten verbreiteten, so zum Beispiel das Haus, das unten die Remise, Waschküche und Gravieranstalt beherbergte und im ersten Stock die Wohnung Passens. Der alte Herrmann Passen stieg noch im Alter von über 90 Jahren auf die lange Leiter, um das Efeu jährlich zu stutzen, während der Sohn Max nur unten die Leiter hielt, aber nie selbst hinauf kletterte um oben Efeu zuschneiden.

Über der Eingangstür zum Wohnhaus und auch an der Küche im kleinen Hof rankten Glycinen, auch Chinesischer Blauregen (Wistaria sinensis) genannt. Die Schmetterlingsblüten in bis 30 cm hängenden Trauben dufteten stark. Ihre Farbe ist hell violett-blau und sie blühen Ende April zum ersten Mal und im Juni zum zweiten Mal. Solange Cracauen noch stand, blühte die Glycinen Jahren für Jahr pflichtgemäß zweimal, ohne dass sie einer besonderen Pflege bedurfte hätten.

An kletternden Pflanzen möchte ich noch den im Haselnusswäldchen wild wachsenden Hopfen (Humulus lupulus) erwähnen, von dem meine Mutter uns oft ein wohlschmeckendes Gemüse vorsetzte in einer holländischen Tunke. Hierzu wurden die hell gelbgrünen Blütentrauben verwendet. Die Blätter hatten verschiedene Formen, hatten aber alle sägeförmige Ränder. Die Ranken waren stark behaart.


An der Terrasse rankte eine bittersüß schmeckende, amerikanische Weintraube. In heißen Jahren wie 1911 und 1921 reiften die rot-braunen, bläulich schillernden Trauben zu voller Süße. Mutter Paula machte dann hiervon ein Traubengelée. Zum Rohessen eigneten sich die Trauben, die eine lederige Haut hatten, kaum. Nur die Amseln schienen sie zu lieben.

Im Cracauer Garten an der Uerdinger Straße stand ein höchst seltener Baum, eine Catalpa bignonioides oder auch Trompetenbaum genannt. Das seltene an diesem Baum waren die blauen Blüten im Gegensatz zu den sonst weißgelben Blüten. Professor Adolf Pahde vom Realgymnasium hatte dort schon auf die Seltenheit dieses Baumes hingewiesen. In Krefeld existierte nur noch ein zweites Exemplar am Eingang zur Paketpost.

Auf dem kleinen Hof standen einige immergrüne Stechpalmen, Ilex aquifolium, darunter ein Baum mit panaschierten, das heißt weißrandigen Blättern, die ihm ein höchst eigenartiges Aussehen gaben. Um die Weihnachtszeit, wenn die scharlachroten Beeren reiften, wurden Äste davon gerne als Zimmerschmuck in Vasen gestellt, die sich den ganzen Winter über frisch hielten. In manchen Ländern wird die Stechpalme gerade um die Weihnachtszeit anstelle der bei uns üblichen Tanne oder Fichte verwendet. Außer den verschiedenen Obstbäumen wie Kirschen (Herzkirschen, schwarze und weiße Kirschen), Kirschapfel, Birnen, wie "gute Luise", die nach parfümierter Seife schmeckte, „Griskes“, eine grau-grüne, kleine, aber zuckersüße Sorte, "Schweizer Hosen", Bratbirnen mit rosa Fleisch, die Mutter Paula in Rotwein schmorte, und 2-3 Apfelbäumen gab es natürlich auch noch zahlreiche Parkbäume. Die Ulmen überlebten das Ulmensterben am Niederrhein in den Jahren 1910-1920 auch nicht. Einige herrliche Kastanienbäume mit roten und weißen Blüten spendeten an heißen Sommertagen Schatten. Großvater Johannes hatte am Tage des Friedens-schlusses 1871 im Cracauer Park eine amerikanische Steineiche und eine Blutbuche gepflanzt. Beide Bäume hatten sich gut entwickelt und waren gleich groß. Es hieß, bei der Pflanzung sei ein Kästchen, dass alle damals gültigen Münzsorten enthielt, vergraben worden. Als die Bäume aber im Jahre 1927 fielen, weil das Grundstück zu einem Hausbau gebraucht wurde, fand man das Kästchen nicht wieder. Damals wurden die Ausschachtung noch von Menschen und Spaten ausgeführt, so dass wohl das Kästchen hätte gefunden werden müssen. Vielleicht wurde es auch gefunden, aber der Finder nahm es selbst mit, ohne seinen Fund zu melden. Neben dem rot-blühenden Rosskastanienbaum, in dessen Schatten Großmutter Luise so gerne saß und ihren Tee trank, war ein schlanker Nadelholzbaum, der von uns die "Zeder." genannt wurde. Seine Nadeln fielen im Herbst ab, sahen aber anders aus als die einer Lärche. Das Holz war dunkelrot, wenn man die Rinde abmachte. Ein gleicher Baum steht heute noch auf dem Westwall gegenüber dem ehemaligen Eingang zum alten Stadthallengarten.

Alle Blumen zu beschreiben, die wild oder angepflanzt im Cracauer Garten wuchsen, hieße nur, längst bestehende botanische Bücher neu herauszubringen. Deshalb möchte ich abschließend nur noch erwähnen, dass, wohl ausgehend vom ehemaligen Pferdestall Champignons sich im Hof und Garten ausbreiteten, die von Mutter Paula gerne verwendet wurden. Nicht vergessen möchte ich auch noch Mutter Paulas Gemüsegarten. In jedem Frühjahr "sprang sie auf die Schöpp“, wobei mein Bruder Rudi und ich ihr gerne halfen, um nicht nur Salat und Küchenkräuter zu sähen, sondern vor allem als ihre Spezialität Bohnen zu setzen, Strauchbohnen und Stangenbohnen.