8. Kapitel

Über die Tierwelt in und um Cracauen ist natürlich nicht mehr so viel zu sagen wie Leonhard von Beckerath sie in seinen Cracauer Erinnerungen beschrieb. Vor allem waren schon in meiner Jugendzeit die fischreichen Gräben verschwunden, die der Jugend vor 100 Jahren so manche Anglerfreuden brachte.

Die Vogelwelt aber war, solange der große Park noch bestand, durch zahlreiche Arten vertreten. An erster Stelle möchte ich die Nachtigallen erwähnen, die jedes Jahr im Fliedergebüsch am Springbrunnen nisteten. Ihr Gesang erfreute uns immer wieder von neuem. Sie begannen meist noch mitten in der Nacht, und bei offenem Fenster konnten wir den Gesang noch im Bett liegend hören. Erst als der Springbrunnen sein Leben ausgehaucht hatte, blieben die Nachtigallen fort. Sie brauchen eben Wasser!

Die Meisen blieben auch im Winter in Cracauen und erfreuten uns durch ihre Geschicklichkeit am Futterstängchen, das am Esszimmerfenster angebracht war, wo wir es oft und gern beobachteten. Im Frühjahr kamen die Buchfinken hinzu.

Amseln, die im Frühjahr so herrliche Melodien flöten, machten sich im Herbst, wenn sie die Trauben plünderten, durch hässliches Gekreische missliebig. Auf den hohen Ulmen nisteten Krähen, die später, als die Ulmen starben, wegzogen. Außerdem gab es noch viele andere kleine Sänger, wie die Grasmücke und den Hänfling. Mitunter hörte man auch einen Specht hämmern.

In den Abendstunden flatterten auch einige Fledermäuse, die in den Dächern der stillgelegten Fabrikgebäude ihr Quartier hatten, um das Cracauer Türmchen herum. Als Kinder fanden wir diese fliegenden Mäuse sehr unheimlich, aber Sie sind ja ganz harmlos.

In dem an unseren Garten anschließenden Park um das Hohe Haus war eine seit vielen Jahren nicht mehr benutzte Reitbahn.. In den Böschungen rund um die Bahn waren Hunderte von Kaninchenlöchern, in denen diese putzigen Nager ein Leben ohne Sorgen genießen konnten, da niemand sie störte. In Mutter Paula Gemüsegarten fanden sie genügend Futter, sehr zum Ärger der fleißigen Gärtnerin.

Ein Erlebnis aus dem berüchtigten Kohlrübenwinter 1916/17 soll hier einmal wieder aufgefrischt werden: ich war in diesem Winter als Soldat kurze Zeit auf Urlaub zuhause, und Mutter Paula hatte ihre Sorge, wie sie den jungen Vaterlandsverteidiger satt bekommen sollte.

Da miaute es frühmorgens an der Hoftüre, und als Mutter die Tür öffnete, sitzt unsere gute Mieze da und hat fein säuberlich ein Kaninchen hingelegt! Das Mittagessen war gesichert! Die Katze hatte das Kaninchen nur mit einem Biß im Genick zur Strecke gebracht und es von der Reitbahn bis vor die Tür geschleppt. Immerhin etwa 300 m weit.

Mutter kochte eine köstliche Suppe daraus, die selbst Vater Raimund mit Genuss aß. Aber Mutter hätte nicht verraten dürfen, was es war! Denn kaum hatte sie erzählt, wie sie diese wunderbare Suppe zubereitet hatte, stand Vater, kreideweiß geworden, vom Tisch auf und verschwand fluchtartig in ein verschwiegenes Örtchen. So wirkt nach vielen Jahren noch seine in Paris erworbene Abneigung gegen die dort „Lapin“ genannten Nagetiere.

Nach dieser kleinen Geschichte muss ich aber noch etwas mehr über unsere Cracauer Katzen berichten, ohne die Cracauen unvollständig wäre. Von ihren Freundinnen wurde Mutter Paula oft "Katzenhebamme" genannt. Zweimal im Jahr gab es Nachwuchs. Mit Kennerblick stellte Mutter fest, welches die kräftigsten Katzensäuglinge waren. Die Schwachen wurden von der Katzenmama gleich weg genommen und wanderten durch die "Wasserspülung" gleich in die ewigen Jagdgründe.

Die gleiche Katze, die uns 1917 das Kaninchen "besorgte", rettete uns 1919 vor belgischer Einquartierung. Vorab muss ich bemerken, dass unsere Katzen dank Mutter Paulas Erziehung sich stets durch ganz besondere Sauberkeit auszeichneten.

Als wir aber im Januar 1919 unerwartet und unerwünscht einen belgischen Offizier mit seiner "Dame" als Einquartierung bekamen, die im "Portenzimmer" untergebracht wurden, schien die Katze unseren Widerwillen zu teilen, denn als die Belgier abends kamen, hatte die Katze auf ihrem Bett mitten auf das Kopfkissen - ihre Visitenkarte - hinterlassen! Fluchtartig verließ das Paar ein so ungastliches Haus!

Auch Passens hatten eine Katze "Pitter" genannt, die trotz ihres männlichen Namens des weiblichen Geschlechts war. Im Gegensatz zu den anderen Cracauer Katzen war sie sehr angriffsfreudig, besonders fremden Personen gegenüber, die sie stets anfauchte. Ihr Jagdgebiet war der ehemalige Pferdestall, die Remise und der große Hof. Sie erreichte eine für Katzen besonders lange Lebenszeit von 15 Jahren.

Die letzte Cracauer Katze entdeckte ich eines Tages in der Garage. Das Auto war einige Tage nicht gebraucht worden, und, als es in dunkler Nacht dort hinein fuhr, musste sich ein junges Kätzchen, angelockt vom Licht der Scheinwerfer, wohl mit eingeschlichen haben. Jedenfalls, als ich den Wagen brauchte, erscholl ein klägliches Miauen vom Cabrioverdeck des Wagens. Das Tierchen war völlig ausgehungert und zu schlapp, sich noch zu bewegen. Ich nahm es vorsichtig auf den Arm und setzte ihm ein Tellerchen Milch hin. Bald hatte sich das Kätzchen erholt, und Mutter Paula behielt es, zumal die Katzenstelle gerade „vakant“ war.

Bekanntlich haben Katzen weniger Anhänglichkeit an Menschen, die sie versorgen, als an Gebäude, an die sie sich gewöhnt haben. Als dann im Januar 1943 Cracauen zerstört wurde, war Miez zuerst unauffindbar.

Nach einigen Tagen fand ich sie auf den Trümmern. Miauend kam sie auf mich zu und strich sich schmeichelnd an meinen Beinen entlang. Ein Versuch, sie mitzunehmen, scheiterte. Immer wieder entlief sie, und ich fand sie am nächsten Tag wieder auf den Trümmern. Sie konnte sich eben von Cracauen nicht trennen. Aber jedes Mal, wenn ich wieder auf dem Grundstück war und nur einmal "Miez!" gerufen hatte, kam sie sofort mit aufwärtsgestrecktem Schwanz angelaufen, um sich von mir streicheln zu lassen, worauf sie dann hoch befriedigt wieder auf die Mäuse- und Rattenjagd ging. Sie wurde dabei fett und verschwand erst 1946 endgültig - also drei Jahre nach der Zerstörung Cracauens -, vermutlich wegen ihres Fettes im Kochtopf einer hungernden Seele! Als Hasenbraten!