9. Kapitel


Dieses Kapitel soll den Bewohnern von Cracauen gewidmet seien, die zu meiner Jugendzeit mit Cracauen verbunden waren. Neben der Familie Passen, von der noch die Rede sein wird, war die Familie Josef Sauer eine richtige Cracauer Familie, die in dem zur Cracauer Straße weisenden

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Gebäude links vom Tor wohnte. In der ehemaligen Färberei der Firma Gebrüder von Beckerath betrieb Vater Josef mit seinen zwei Söhnen, Johannes und Josef genannt, eine Maschinenfabrik, wo sie in der Hauptsache Textilmaschinen herstellten. Angetrieben wurden die hierzu nötigen Schleif-und Bohrmaschinen mit einem starken Gasmotor.

Johannes, oder Hannes gerufen, musste bald Soldaten werden, doch da er beim Kommiss überall eine gute Nummer hatte, kam er viel auf Urlaub, und dann spielte auch er fleißig" Pass-op" mit uns.

Elly, die jüngste Tochter, wurde jeden Tag zum Mitspielen geholt. Manchmal dauerte es etwas, bis sie kam. "Ich muss noch zwei Päckskes Rechenaufgaben abschreiben" aber dann war sie bald wieder unsere Räuber Braut.u Sie war auch dabei, als ich in einem Winter in die zugefrorenen Mistkull vom Hohen Haus fiel, worüber sie heute noch lacht.

Außer den bereits genannten Kindern Sauers muss unbedingt die älteste Tochter Paula erwähnt werden, die aber schon verheiratet war und mit ihrem Mann in Venlo wohnte. Das junge Paar war häufig in Cracauen zu Gast, und es existiert eine alte Fotografie des Paares, aufgenommen im Cracauer Garten.

Einige Jahre älter als Elly war Emma, die aber schon früh gestorben war. So kam es, dass eigentlich Elly unsere Hauptspielgefährtin war, die natürlich mit uns auch ausgesprochen weibliche Spiele spielen wollte, wie "Hinkeln" mit den Abarten "Himmel und Hölle" und "Schnecke". Ballspielen liebte sie auch und, je nach Jahreszeit, wenn sie in Mode waren, "Murmeln" auch in verschiedenen Spielarten.
Sauers hatten natürlich für ihre Maschinenfabrik auch einen Telefonanschluss, der damals noch nicht automatisiert war. Klingelte das Telefon, dann ging zuerst Frau Sauer daran und meldete sich "Hier Sauer - weddoch!". Es dauerte eine Zeit lang, bis ich heraus bekam, was es heißen sollte: "Hier Sauer - wer dort?".


Doch nun wird es Zeit, den ältesten Cracauer Bewohner ins Scheinwerferlicht zu bringen: Herrmann Passen!
Herrmann Passen war schon zu Zeiten der Färberei Gebrüder von Beckerath auf Cracauen und bewohnte mit seiner Familie das Wohngebäude über der Remise und Waschküche. Als die Färberei stillgelegt wurde, eröffnete er eine eigene Schmiede (siehe Bild 38 und 39) wo ihm sein alter Geselle Mathias Minden half. Die älteste Tochter Trautchen war Näherin. Sie hatte ein kleines Bückelchen. 1923, 14 Tage vor meiner Hochzeit, starb sie an Skorbut.

Der älteste Sohn Max war ein geschickter Graveur, der sich seine Werkstatt auf dem kleinen Hof neben der Waschküche aufgemacht hatte. Gelernt hatte er bei J. P. Kayser & Sohn. Der Inhaber Jean Kayser hatte Großmutter Zohlens Schwester Louise zur Frau. Später ging Max nach Geislingen an der Steige zur Württembergischen Metallwarenfabrik und war auch, ehe er sich selbstständig machte, ein paar Jahre in Paris. Von der Pariser Firma bekam er noch jahrelang viele Aufträge.
Als Kind war ich meist, wenn meine Mutter mich suchte, bei Passens oben in der Küche, wo es mir nach langen Versuchen gelang, mich mit "Pitter" anzufreunden, die im allgemeinen keine Kinder leiden mochte, die sie offenbar gequält hatten.

Max Passen in seiner Gravierwerkstatt war natürlich auch ein Anziehungspunkt. Wie schon erwähnt, bekam er als selbstständiger Graveur immer noch Aufträge der Pariser Firma, wo er gearbeitet hatte. Man war direkt auf die meisterlichen Ausarbeitungen der Gussformen zum Beispiel für silberne Tabletts angewiesen. Max bekam aber auch häufig Arbeit aus Kevelaer zur Herstellung von Gussformen für Kruzifixe. Nebenbei fertigte er als Hobby Flugzeuge wie zum Beispiel das damals viel bewunderte Flugzeug, mit dem Bleriot als erster Pilot den Ärmelkanal überflog. Zu Hannes Sauers Hochzeit mit Finchen Baaken aus Tönisberg fertigte er eine Luftschiffhalle, woraus, wenn man sie öffnete, ein Zeppelin hoch stieg.

Karl Passen, der älteste Sohn, war ein besonders guter Schüler, der zu Weihnachten immer von seinem Lehrer Wichterich ein wunderbares Geschenk erhielt. Ganz besonders erinnere ich mich an eine Dampfmaschine, zu deren Ausprobierung Karl mich eingeladen hatte. Im Sommer fertigte Karl zusammen mit seinen Freunden Hannes und Jupp in der Sauer’schen Maschinenfabrik ein Schiff, in das sie die Dampfmaschine einbauten, die die Schiffsschraube antrieb. Als das Schiff, das wie ein Ozeandampfer in Miniatur aussah, fertig war, zogen wir zusammen zum Stadtwald, mieteten zwei Kähne und ließen den Dampfer auf dem Teich fahren. Das ging eine Zeit lang gut, und wir hatten viele Zuschauer. Aber plötzlich war das Wasser im Kessel verbraucht, und mit einem heftigen Knall explodierte das prachtvolle Schiff und versank vor unseren Augen im Stadtwaldteich auf Nimmerwiedersehen!

Wenn in diesem Buch alle Bewohner Cracauens aufgezählt werden sollen, so gehört unbedingt auch Hilda Zapp dazu, die kurz nach der Geburt meines Bruders Rudi von unseren Eltern als "Kinderfräulein" eingestellt wurde und über 10 Jahre eine uns allen lieb gewordene Hausgenossin war. In späteren Jahren kam sie wieder nach Kaiserswerth zurück, wo sie ihre letzten Lebensjahre

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im Mutterhaus der Kaiserswerther Diakonissen verbrachte, wo Rudi sie noch oft besuchte und sie 1964 auch zu ihrer letzten Ruhe geleitete. Das obige Bild zeigt sie mit ihrem Liebling Rudi, nach einer Fotografie aus dem Jahre 1907.